Wie schlechte UX einem Online-Shop viele Kunden und Geld kostet: Eine persönliche Erfahrung

Gestern stand ich kurz davor, in einem Onlineshop ein höherpreisiges Produkt für knapp 1.170 Euro zu kaufen, das mir ein Bekannter empfohlen hat. Der Online-Shop eines deutschen Herstellers schien vielversprechend – einfach, solide und weckte anfangs Vertrauen. Doch was ich beim Abschluss der Bestellung erlebte, war für mich sehr überraschend und hat mich dazu bewogen, diesen Artikel zu schreiben. Ich werde natürlich auch das Unternehmen des Online Shops kontaktieren und ihnen von meinen Ergebnissen berichten.

Holpriger Start

Schon in der Produktübersicht merkte ich, dass es keine Angaben zu den Versandkosten gab – weder für Deutschland noch für meine Zieladresse in Österreich. Da es sich um ein sehr sperriges Produkt handelt, war das ein entscheidender Faktor. Dazu später mehr. Ich klicke auf „In der Warenkorb hinzufügen“ und anschließend auf „Zur Kassa“. Ich bemerke auch, dass bei jeder Seite das Cookie Banner erscheint, ich klicke jedoch immer auf „Schließen“ (die andere Option wäre Annehmen, ein „Cookies Ablehnen“ gibt es leider nicht) – das nervt!

Fatale Fehler, die dem Shop Betreiber nicht bekannt sind

Im nächsten Schritt gebe ich meine Anschrift und Kontaktdaten ein, relativ easy. Ich muss auch kein Konto erstellen, das finde ich auch gut. Aber schon der nächste Schritt im Check-Out Prozess ist fatal. „Ups, es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte rufen Sie eine andere Seite auf. Vielen Dank.“. Ich denke, es gibt fast kein schlimmeres Problem. Das ist der absolute Worst-Case, wenn im Bestellprozess kurz vor der Bezahlung so etwas passt. Neugierig wie ich bin, versuche ich den Fehler zu finden. Funktioniert es wenn ich mir einen Account anlege? Oder passt meine (österreichische) Postleitzahl nicht für die deutsche Webseite? Der Grund war schnell gefunden: Ohne Cookies läuft hier mal gar nichts. Ich habe die Cookies akzeptiert und klicke auf „weiter“.

Auch nächste Schritt im Bestellvorgang war leider wieder enttäuschend. Ich kann nur per Vorkasse bezahlen? Und 714 Euro Versand? Das muss ein Fehler sein, auf der Webseite stand zuvor noch ich kann mittels Kreditkarte, Nachnahme, PayPal und sogar per Rechnung bezahlen. Mein erster Gedanke: Ich hab wohl im Zuge der Fehlersuche falsche Angaben bei meinen Daten gemacht und die Adresse passt jetzt nicht. Also zurück zu „Schritt 2: Ihre Adresse“. Aber nein, Fehlanzeige. Ich komme nicht mehr zum vorherigen Formular zurück. Das einzige was ich hier klicken kann ist „weiter“.

Screenshot: Fehlermeldung im letzten Bestellschritt, wenn zuvor Cookies nicht akzeptiert wurden.

Screenshot: Gefangen im Check-Out Schritt 3: Es gibt kein zurück mehr um vorherige Daten zu ändern.

Also wieder ganz von vorne: Browserdaten löschen, Cookies zulassen, Artikel in den Warenkorb legen, Adresse korrekt eingeben und hoffen, dass ich per Kreditkarte bezahlen kann und niedrigere Versandkosten habe. Aber leider wird es nicht anders, es fallen weiterhin 714 Euro Versandkosten an und die einzige Zahlungsmethode ist Vorkasse. Ich teste noch die Zahlungsmöglichkeiten und Versandkosten mit einer deutschen Adresse und stelle fest: Für deutsche Kunden gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute zuerst: Sie können wirklich mit Vorkasse, Kreditkarte, Nachnahme, PayPal und per Rechnung bezahlen. Die schlechte Nachricht: Für Deutschland gibt es keine Lieferung, sondern nur Selbstabholung, die ist dafür sogar gratis. Ob das so gewollt ist? – Ich bin mir nicht sicher.

Umsatzverluste durch vermeidbare Fehler sind kein Einzelfall

Mein persönliches Erlebnis ist kein Einzelfall. Daten von Haymard (2023) zeigen, dass von Online-Shoppern die bereits Artikel in den Warenkorb gelegt haben, 36 % der Online-Shopper auf Hürden stoßen, die sie vom Kauf abhalten. 34 % wollten sowieso nicht kaufen und haben „nur geschaut“. 30 % kaufen tatsächlich. Dabei handelt es sich um Durchschnittswerte aus Großbritannien und den USA.

Abbildung: Kaufentscheidungen von Online-Shopper, die bereits Artikel im Warenkorb haben. Quelle: https://baymard.com/lists/cart-abandonment-rate

Abbildung: Online-Shopper, die bereit wären zu kaufen, aber auf eine Hürde stoßen. Quelle: https://baymard.com/lists/cart-abandonment-rate

Die 10 häufigsten Gründe für den Abbruch im Check-Out Prozess des Online-Shops

  1. Zusatzkosten sind zu hoch (zb. Versand) – 48 %
  2. Kontoerstellung ist erforderlich – 24 %
  3. Lieferung ist zu langsam – 22 %
  4. Sicherheitsbedenken bzgl. Kreditkarte – 18 %
  5. Bezahlvorgang ist zu kompliziert – 17 %
  6. Gesamtkosten sind nicht transparent – 16 %
  7. Fehler im Bezahlvorgang aufgetreten – 13 %
  8. Unzufriedenheit mit den Rückgaberichtlinien – 12 %
  9. Zahlungsmethoden sind nicht verfügbar – 9 %
  10. Kreditkarte wurde abgelehnt – 4 %

Betrachtet man diese Hürden genauer, wird folgendes deutlich: Zu hohe Zusatzkosten, wie ich sie erlebt habe, war für 48 % der Käufer ein Grund für den Warenkorbabbruch. 22 % beklagen langsame Lieferzeiten (in disem Online-Shop 2 bis 4 Wochen – also auch nicht optimal), fehlende Transparenz (16 %) (etwa bei den Versandkosten), Bezahlvorgang zu kompliziert (17 %), Fehler im Bezahlvorgang (13 %), Zahlungsmethoden nicht verfügbar (9 %). Dieser Webshop erfüllt somit gleich mehrere der häufigsten Gründe um NICHT zu kaufen.

Nicht all diese Punkte können behoben werden, da bspw. der Transport mit einem Speditionsunternehmen einfach sein Geld kostet und die Lieferzeit manchmal logistisch bedingt nicht schneller möglich ist. Punkte wie Fehlermeldung, Zahlungsmethoden, Transparenz und komplizierte Abläufe könnten in diesem Fall jedoch gänzlich behoben oder zumindest optimiert werden.

Wie hoch ist die Abbruchrate in diesem Online Shop?

Es ist an dieser Stelle unmöglich, ohne genaue Analysedaten aus Web-Tools eine präzise Aussage darüber zu treffen, wie stark die Abbruchrate im Checkout-Prozess derzeit ist bzw. um wie viel diese gesenkt werden kann.

Allerdings gibt es ein ganz gravierendes und offensichtliches Problem: Die Fehlermeldung im Bestellprozess („Ups, es ist ein Fehler aufgetreten…“) verschwindet nicht ohne Zustimmung der Cookies. Dies erlaubt zumindest die Betrachtung eines Aspekts: Die durchschnittliche Zustimmungsrate bei Cookie-Bannern. Laut Verdure.de zeigen Studien, dass diese Rate zwar stark variiert und je nach Design und Benutzerfreundlichkeit zwischen 20 % und 80 % liegt. In diesem Fall, ist der „Schließen“-Button direkt neben dem „Akzeptieren“-Button platziert und ich gehe davon aus, dass eher weniger Kunden den Cookies zustimmen.

Das bedeutet, dass aufgrund dieses Problems potenziell 20 % bis 80 % weniger Bestellungen aufgegeben werden. Auf die weiteren Probleme werde ich hier nicht weiter eingehen, da der entstandene Schaden bereits deutlich sichtbar ist.

Was sich jedoch nicht abschließend sagen lässt, ist, wie viel vom potenziell verlorenen Umsatz tatsächlich verloren gegangen ist. Es ist möglich, dass einige Bestellungen stattdessen persönlich per E-Mail oder Telefon abgewickelt werden. Fakt ist: Der Onlineshop hat sein Ziel klar verfehlt. Hier wurde entweder überhaupt nicht oder nur unzureichend getestet. Durch die Umsetzung grundlegender Prinzipien für einen benutzerfreundlichen Online-Shop könnte deutlich mehr Umsatz gemacht werden.

Die Reaktion des Shop-Betreibers

Ich habe versucht, den Betreiber des Online-Shops telefonisch zu kontaktieren. Anfangs bestand kein Interesse an meinen Informationen, doch schließlich bat man mich, eine E-Mail an die Geschäftsführung zu schicken, was ich auch getan habe. Ich warte noch auf eine Antwort und werde den Artikel ergänzen, sobald ich eine Rückmeldung erhalte. Außerdem wurde telefonisch mitgeteilt, dass die Versandkosten nach Österreich 300 Euro zzgl. Steuern betragen, im Gegensatz zu den über 700 Euro, die im Online-Shop angegeben sind.

UPDATE vom 10. September 2024:
Leider gab es bis heute keine Rückmeldung vom Shop-Betreiber, jedoch wurden innerhalb weniger Tage die größten Probleme im Online-Shop behoben.

Fazit: Usability Tests und Optimierte UX sind essenziell

Die Erfahrung mit dem beschriebenen Onlineshop verdeutlicht eindrücklich, wie sehr die Benutzererfahrung (User Experience) das Kaufverhalten und den Erfolg eines Unternehmens beeinflussen kann. In diesem Fall wurden große Fehler gemacht, die im Check-Out eines Online Shops möglich sind. Ein undurchsichtiger Bestellprozess oder technische Fehler führen nicht nur zu Frustration bei potenziellen Kunden, sondern verursachen auch erhebliche Umsatzverluste. Die Investition in eine optimierte UX ist daher immer zu empfehlen. Jeder in die Verbesserung der UX investierte Euro hat das Potenzial, sich vielfach auszuzahlen, in diesem Fall ganz klar durch mehr Umsatz durch die Beseitigung von Fehlern und Optimierungen.

Es ist von Fall zu Fall unterschiedlich, wie gravierend die Probleme sind, aber jeder Betreiber einer Webseite oder eines Shops sollte wissen, wie es bei ihm aussieht. Wer möchte, kann gerne meinen kostenlosen Website-Check nutzen, der Auskunft darüber gibt, wie die aktuelle Situation ist, wie hoch das Potenzial für Verbesserungen ist und welche Maßnahmen am meisten Sinn ergeben.